Linda 
 on Tour

Koh Lanta, Thailand

Was mir so durch den Kopf geht – ein paar Anmerkungen zum Radreisen

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Während meiner gesamten Reise beschäftigen mich einige Gedanken übers Reisen. Die unterschiedlichen Leute die ich getroffen habe – Radreisende, Backpacker, Touristen, aber auch Einheimische, Expats und Lebenskünstler – sie alle haben mich in einer Weise beeinflusst und mir zu Denken gegeben.

Ich sitze gerade in einem regelrechten Travellers-Nest auf einer thailändischen Insel. Und genau hier, umgebend von dutzenden Backpackern kreisen meine Gedanken wieder stark um die Art des Reisens. Denn ich reise nicht wie andere.

Ich reise per Fahrrad. Ist das der einzige Unterschied?

Nein. Ich dachte zumindest, dass es so wäre – bis ich die Horden von Backpackern in Bangkok und auf den Inseln selbst gesehen und erlebt habe. Diese Art von «Backpacking» wie hier, hat für mich persönlich nichts mit «Reisen» zu tun. Oder nicht mit meiner Art zu Reisen.

warum2 Reisen

Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten. Was ist der persönliche Antrieb, «Reisen zu gehen»? Was erwartet man? Möchte man wirklich «Reisen» oder einfach «Urlaub machen»?

Ich reise, um Land und Leute kennenzulernen. Mit Leuten zu sprechen, zu gestikulieren, zu diskutieren. In andere Sitten, Lebensarten & -ansichten, Bräuche und Leben hineinzuschauen. Neue Speisen zu kosten, Früchte zu pflücken und neue Geschmäcke kennenzulernen. Alles Fremde bzw. Neue auf dem Markt oder im Super-/Mini-Market muss ich sofort kaufen und probieren weil ich Lust drauf habe.

Ich reise, um verschiedene Gebiete, Landschaften, Klimazonen und Gegenden zu erkunden. Wie lebt die Wüste, wie haben sich die Menschen angepasst? Auch ich schöpfe Wasser aus den Wasserlöchern anstatt versiegelte Petflaschen zu kaufen – für mich ist dieses einfache Leben, und das Begreifen desselbigen eine Bereicherung. Der Übergang zu bewässerten Gebieten ist frappant, ebenso das Klima.

Woche für Woche, wenn nicht sogar Tag für Tag ändert sich die Umgebung und die Menschen ein Stück weit. All das sauge ich in mir auf, und lerne Zusammenhänge zu verstehen. Dabei ertappe ich mich selbst manchmal, dass ich mich nerve. Darüber, dass ich mich im Vornherein nicht stärker mit der Geschichte auseinandergesetzt habe. Aber Geschichte zu lesen finde ich nun mal einfach langweilig. Lieber höre ich zu wenn Leute erzählen, von früher, über Fakten, aber auch über das Hier & Jetzt. Ich informiere mich bewusst nicht oder nur wenig über die zu bereisenden Länder. Ich möchte nämlich total offen und unvoreingenommen reisen, alles mit meinen eigenen Augen sehen. Auf die Leute eingehen und das Leben so einfangen, wie es sich mir in dem Moment zeigt.

Ich reise anders, mit dem Fahrrad. Ja. Es hat für mich viele Vorteile, so zu reisen. Ich bin unabhängig und kann meinen Weg suchen wie ich möchte. Ich kann stoppen wo und wann ich will, kann rasten solange ich möchte. Einzig das Wetter, Nahrungsmittel bzw. Beschaffung derselben sowie Visaregelungen geben mir einen groben Zeitplan vor.

Ich bin langsam unterwegs. So langsam, dass ich/wir von jedem anderen Radreisenden überholt wurden. Ich habe keine Eile, ich will mir Zeit nehmen. Zeit um etwas zu trinken, Zeit für eine Plauderei, Zeit für ein Foto, Zeit um etwas zu besichtigen, Zeit dem Treiben auf dem Markt zuzuschauen, Zeit um zu kochen und zu essen, Zeit um zu geniessen, …

Radfahrer vs Reisende

Unterwegs trifft man viele Charaktere. Viele andere Radreisende. Und jeder hat seine ganz eigene Auffassung vom Reisen.

Mittlerweile unterscheide ich zwischen Radfahrern und Reisenden. Mich selbst zähle ich zur zweiten Kategorie, Reisende.

Radfahrer sind Athleten mit Gepäck. Es gibt sie in der Ultralightversion oder auch vollbepackt. Eins haben sie aber gemeinsam: Für sie ist das Radreisen eine sportliche Herausforderung. Sie folgen meist einem straffen Zeitplan, rauschen durch die Länder und haken diese nahdisnah auf ihrer Liste ab. Je nach Typ Radfahrer gibt es noch ein zweites Ziel: Sich jeden Tag zu steigern. Noch schneller, noch weiter, und überhaupt noch besser. Dabei verlieren sie allerdings den eigentlichen Grund zum Radfahren – das Reisen – schnell aus den Augen. Oder ist dies gar nicht ihr Ziel?

Viele Radfahrer (nicht Reisende), die ich getroffen habe, fahren in Lycra. Klar, um sportlich zu fahren eine gute Wahl. Zu Hause. Aber nicht überall auf der Welt, nur schon aus Respekt der Kultur gegenüber. Bei spontanen Einkäufen und Einladungen kann diese Garderobe ein Problem sein, denn ich denke nicht nur ich fühle mich unwohl in enger Sportbekleidung auf einem tadschikischen Markt?

Erstaunlicherweise gibt es weit mehr Radfahrer unter den Radreisenden, als dass ich gedacht hatte. Ehrlich gesagt ging ich – naiv wie ich bin – davon aus, dass jeder, der solch eine Reise per Fahrrad auf sich nimmt, ein Reisender ist. Jemand, der das Fahrrad als Fortbewegungsmittel sieht, die Natur schätzt und kaum darauf warten kann die Welt zu entdecken. Auf meiner Reise lernte ich aber viele andere Ansichten kennen. Sicher etwa die Hälfte aller Radreisenden, die ich getroffen habe, ordne ich in der Kategorie der Radfahrer ein.

Oftmals wenn wir Radreisenden uns in Hostels versammelten, wurden natürlich Tipps und Erfahrungsberichte ausgetauscht. Routeninformationen und Übernachtungsmöglichkeiten wurden in die Runde geworfen, wir schmiedeten gemeinsam Pläne. Doch sobald die Rede auf vergangene Etappen kam, verging mir oft die Lust am Gespräch. Kilometer und Höhenmeter wurden verglichen, Stunden pro Tag im Sattel gezählt und Durchschnittsgeschwindigkeiten erwähnt. Wer mit seinen Zahlen nicht sattelfest war oder nicht brillieren konnte, wurde insgeheim belächelt – als Pläuschler abgestempelt. Schlussendlich gewinnt niemand eine Medaille, nur weil er zwei Wochen schneller durch ein Land fuhr als ein anderer, oder?

Noch kurz zurück zu den Höhen- und Kilometern: Ich bin kein Fan von Matheaufgaben unterwegs. Wenn ich merke, dass es mir zuviel wird, das heisst wenn ich realisiere, dass der Berg doch höher ist als ich aufgrund der Karte erwartet habe, dann stoppe ich einfach. Ich schlage mein Zelt auf, koche mir etwas Leckeres (darum immer genügend Vorräte dabei haben!) und fahre einfach am nächsten Tag weiter. So einfach geht das! Denn ich mag keine allzu detaillierten Routenplanungen. Lieber fahre ich die Strecken je nach körperlicher Verfassung, Wetter, Strassenverhältnissen und Lust & Laune.

Versteht mich nicht falsch, ich respektiere jeden mit seiner ganz eigenen Art, der eine solche Reise antritt. Jeder soll genau das machen, was er möchte. Für jeden ist es ein Abenteuer und eine grosse Leistung!

Frisches Multivit

Ein anderes Thema: Essen.

Wie bereits erwähnt, ich liebe es, Neues auszuprobieren. Aber genauso gerne mag ich es, zu kochen. Teilweise muss man auch, sei es in Europa aufgrund eines eher schmalen Budgets oder in anderen Teilen der Welt mangels Restaurants. Ich liebe es, frische Zutaten zu verarbeiten, und nehme es auf mich, eine stattliche Gewürz- und Saucenauswahl in der Sacoche mitzuschleppen. Die Döschen und Fläschchen vermehren sich ständig, so ist meine Gewürzbox mittlerweile etwa so gross wie ein durchschnittlicher Gewürzschrank in der Schweiz: Salz, Pfeffer, Paprika, Curry, Oregano, Safran, Chilli, Kurkuma, Bouillon, Zimt, Muskatnuss, Kreuzkümmel, Zucker, Vanillezucker, und vielleicht habe ich sogar noch was vergessen. Hinzu kommen Sonnenblumen- und Olivenöl (je nach Verfügbarkeit) und Aceto Balsamico, sowie Sojasauce. So, damit ist mal eine Basis da. Frisches Gemüse, ein bisschen Abwechslung durch Reis, Linsen, Polenta, Griess, Pasta, etc. – sicherlich 2-3 unterschiedliche Packungen – was gerade so in die Tasche passt. Das ist für mich die Grundausstattung. Je nach Klimazone und Erhältlichkeit wird das ganze noch mit Milch- und/oder Fleischprodukten aufgepeppt.

Zum Frühstück versuche ich auch etwas Variation einzubringen. Ich kenne so einige, denen der allmorgendliche Porridge langsam zu den Ohren heraushängt… Bei mir gibts im Winter meist Müesli mit Früchten, das lässt sich in der Kälte gut transportieren. Sobald es wärmer wird, gibt es Brot mit verschiedenen Aufstrichen. Auch hier wirkt die Auswahl Wunder! Wenn ich nur Honig hätte, Tag für Tag, ich denke ich würde durchdrehen. So gab es zeitweise 4-5 Gläser mit unterschiedlichen Brotaufstrichen in meiner Tasche: Honig, Nutella bzw. eine Kopie davon, Konfitüre (oftmals selbstgemachte mit Früchten vom Markt), Haselnussaufstrich, Tahin-Pekmez (türkischer Sesam-Trauben?-Aufstrich) zusammen mit Butter wenn es kühl war. Einfach herrlich! Und weil das Frühstück so gemütlich ist: eine grosse Teekanne mit obendrauf.

Wegen meiner Küchentasche, und was ich jeweils alles hervorzaubere, werde ich meist ausgelacht. Niemandem ist es wohl wert, solch einen Vorrat durch die Gegend zu schleppen. Stattdessen begnügt man sich mit Päckchensuppe und Linsen-Pasta-Eintopf tagtäglich. Gemüse zum aufpeppen: Zwiebeln und Knoblauch. Das hält sich lange und zermanscht in der Tasche nicht… Meine lieben Leute: Auch Tomaten kann man tagelang mitnehmen, gewusst wie! Und stellt euch vor, eine Wassermelone passt sogar super ins RackPack von Ortlieb. Ein wahrer Genuss, mitten in der Wüste!

Einerseits habe ich Leute getroffen, die akribisch genau ihr persönlich bestes Menu herausgetüftelt hatten: Bulgur mit Käse und Poulet, Kohlenhydrate und Eiweisse sehr konzentriert auf möglichst geringem Packmass kombiniert mit kurzer Kochdauer. Andererseits gibt es aber auch die, die sich um die Ernährung nicht gross Gedanken machen möchten, auf Frisches wie Obst und Gemüse weitgehend verzichten (wegen dem Transport?) und dafür Multivitamintabletten einwerfen. Aus meiner Sicht auch nicht wirklich das Gelbe vom Ei…

Apropos Ei: Unser Eier-Tupperware wurde anfangs belächelt, doch spätestens im Pamir ernteten wir dafür neidische Blicke. Und so Mancher wollte auch gerne eine solch praktische Box, die da aber nirgends aufzutreiben war.

Sponsors s der gute zweck

Nicht-Radfahrer die ich treffe, also anders gesagt oftmals Backpacker, fragen nach dem «Woher» und «Wohin» meist, ob ich «gesponsert sei». Sponsoring an und für sich ist eine gute Sache, das steht hier ausser Frage. Aber ich finde, nicht in Hinsicht auf das Reisen.

Vielleicht tue ich vielen Leuten nun unrecht, nur weil ich das Glück hatte in der Schweiz geboren worden zu sein. Aus meiner Sicht sollte jeder so Reisen, wie er es sich leisten kann. Will heissen: Um sich ein Jahr oder zwei Pause zu gönnen, sollte man im Voraus dafür arbeiten und das Geld sparen. Ich finde, jeder der eine solche Reise unternehmen möchte, sollte selbst das Geld dafür aufbringen – sonst muss man nicht gehen. Oder unterwegs arbeiten – was dann aber auch wieder unter die Kategorie «Geld aufbringen» fällt.

Radreisen mit Zelt und Kocher ist günstig. Vor allem in Ländern ohne Campingplätze, da zeltet man wild oder man fragt. Möchte man dann doch mal ein Zimmer und/oder eine Dusche, sind Guesthouses oder Homestays relativ günstig.

Ein Sponsoring-Vertrag käme für mich niemals in Frage. Nur schon aus oben genannter Motivation, mir meine Freizeit selbst zu finanzieren. Dazu kommen aber auch noch viele weitere Gründe.

Ich will unabhängig sein. Unabhängig reisen, mir meine Routen- und Zeitplanung offen lassen. Ich will mir jede Option offen halten, selbst das jederzeitige Heimkehren. Ich will auch keinen Erwartungsdruck vertraglich unterzeichnen. Terminiertes und ausführliches Blog-Schreiben, gute Töne über gewisse Ausrüstungsgegenstände. Fotos machen müssen. Das gesamte soll mir Spass machen – und wenn ich auf etwas oben genanntes keine Lust habe, dann mache ich es einfach nicht. Punkt.

Der Unterschied zwischen Sponsoring und dem Fahren für einen guten Zweck bezüglich Radreisen ist relativ gering. Gesponserte Radreisende bekommen Ausrüstungsgegenstände zu einem vergünstigten Preis oder gar umsonst, dafür bloggen und posten sie fleissig währenddem sie um die Welt pedalen. Diejenigen, die ihre Reise einem guten Zweck widmen, pedalen um die Welt und bloggen & posten dabei fleissig, um Leser zum Spenden zu animieren. Sie kriegen meist nichts dafür (ausser sie sind zusätzlich gesponsert), aber haben meist ähnliche Verpflichtungen.

Schreibst du ein Buch

Last but not least: Die zweitliebste Frage aller Nicht-Velofahrer ist «Schreibst du nachher ein Buch?», dicht gefolgt von «Und wieviele Kilometer bist du gefahren?».

Zur ersten: Nein.

Zur zweiten: Das ist doch egal, oder ist das wichtig für mein Gegenüber? Viel interessanter ist doch, wie ich die Reise erlebt habe. Welche Länder ich besucht habe, wie die Menschen sind, was mich überrascht hat, was mir passiert ist, wo ich wieder hingehe, wo ich niemals zurückkehren würde, etc.

Vielleicht nochmals zurück zur ersten Frage: Nein, ich reise nicht mit der Absicht, nach eben dieser Reise ein Buch über diese Reise zu schreiben. Nein, ich finde das absurd. Denn ich mache diese Reise für mich, nicht für andere. Und schon gar nicht als eine Art Projekt, welches schon ein weiterführendes Projekt angehängt bekommt. Nein, so nicht. Ich habe viel erlebt, natürlich. Und es wird hoffentlich noch viel auf mich zukommen. Und ich erzähle natürlich gerne, sehr gerne persönlich, allen die es interessiert.

Als Solo-Reisende ist der Blog eine Art Gesprächspartner. Es tut gut, meine Erlebnisse gebündelt in die Welt heraus zu posaunen, denn ich weiss dass der eine oder andere zu Hause das liest. Es gibt mir eine gewisse Zufriedenheit, etwas kleines vom Erlebten erzählt zu haben. Aber wie ihr gemerkt habt, zu zweit ging die Lust am Schreiben etwas verloren. Ich konnte mich austauschen, wir erlebten die Sachen gemeinsam. Also bestand kein Bedarf am Blog. Nun bin ich aber wieder alleine – und ich denke ihr werdet wieder etwas öfter von mir lesen. Im Blog, sicher nicht in einem Buch.

Nochmals: Versteht mich bitte nicht falsch, ich respektiere jeden mit seiner ganz eigenen Art, der eine solche Reise antritt. Jeder soll genau das machen, was er möchte. Für jeden ist es ein Abenteuer und eine grosse Leistung! Chapeau!